Wasterlain – Monika Morell Integral 1

Die Abenteuer von Monika Morell – Fotoreporterin – 1982 – 1987

Story: Marc Wasterlain
Zeichnungen: 
Marc Wasterlain
Originaltitel:
Jeannette Pointu

Kult Comics

Hardcover | 240 Seiten | Farbe | 39,00 € | 
ISBN: 978-3-96430-322-6

Cover Monika Morell Integral 1

In den 80-er Jahren änderte sich die Comic-Welt ein weiteres Mal. Comics begannen sich auch im etablierten Spirou-Magazin an ältere Leser*innen zu richten ohne dabei allerdings dem Muster der „Comics für Erwachsene“ zu folgen. Politische Themen hielten Einzug, es durfte gestorben werden und ja, es durfte tatsächlich auch Heldinnen außerhalb von Fantasy and Science-Fiction geben!

Eine starke Frau

Monika Morell ist eine Fotoreporterin, die sich weder vor Reisen in Kriegs- und Krisengebiete scheut noch davor zurückschreckt, Ikonen kritisch zu hinterfragen. Nicht immer wird ihr das wirklich gedankt, und doch sind ihre Fotos immer wieder auf der ersten Seite zu sehen. Wasterlain schafft es, aktuelle Themen der Zeit aufzunehmen und lässt seine Heldin in Ostasien, Lateinamerika und der afrikanischen Wüste agieren. Dort hat sie nicht nur mit lokalen Mächten und Unruhestiftern zu tun, oft genug muss sie sich auch gegen männliches Machtgehabe und Sexismus durchsetzen.

Monika Morell Integral 1 page 7

Die Geschichte beginnt auf dem Schlachtfeld und die Heldin bekommt von einem Sterbenden ein Amulett geschenkt. Der grüne Drache wird im Laufe des Abenteuers noch eine große Rolle spielen, ist er doch das Symbol eines weltumspannenden Geheimbundes. Es ist unschwer zu erkennen, dass die gezeigte Gegend Kambodscha repräsentiert. Weiter geht es in den Anden: Der Sohn des Inka ist auf der einen Seite eine Geschichte über die Ausbeutung und Aneignung der indigenen Geschichte, andererseits ein Paradebeispiel über brutale Diktaturen dieser Gegend.

Paris-Dakar fügt der Weltpolitik, die erneut in Form der Vernichtung der Ökologie in sogenannten Dritt-Welt-Ländern eine Rolle spielt, eine sexistische Komponente hinzu. Monikas Kollege, der sein wahres Ich bereits im vorherigen Band zeigen durfte, geht in die Offensive. Und dann folgt noch ein Band, der unter anderem in Tibet spielt und den Yeti bzw. Yeren zum Thema hat. Und wieder kommt die sogenannte zivilisierte Welt nicht wirklich gut weg.

Monika Morell Integral 1 page 8

Eine Reporterin aus Belgien, aber ohne Hund

Man merkt Wasterlain an, dass er großen Respekt vor einem anderen Reporter hat. Immer wieder tauchen Motive auf, die Bilder von Herge in einen anderen Zusammenhang setzen. Teilweise werden dadurch Assoziationen geweckt, die die Geschichte unterstützen, teilweise sind es aber auch gegensätzliche, „moderne“ Auslegungen, die der Zeichner im Sinn hat.

Die Seiten sind zeitgemäß streng in vier Streifen gegliedert. Zwar gibt es nur wenige Überschneidungen, die Panel sind aber keineswegs gleichförmig oder langweilig. Wasterlain wechselt die Perspektive, fügt viele detaillierte Hintergründe hinzu und schafft eine Mischung aus Realismus und Knollennase.

Detail Monika Morell Integral 1 page 13

Gelungene Mischung aus Comics und Information

Im Gegensatz zu anderen Integralen mit sehr langen einführenden Vorworten ist dieser Teil hier eher kurzgehalten, allerdings mit ausreichender Information versehen. Jede einzelne Geschichte wird dagegen vorgestellt, auf historische Hintergründe hin beleuchtet und mit zusätzlichen Illustrationen angereichert. Gut gemacht! Der Band enthält auch Zeichnungen, die extra für die neue französische Gesamtausgabe angefertigt worden waren. Obwohl Wasterlain in allen einzelnen Teilen politische Themen aufgreift und Missstände offenlegt, ist Monika Morell keineswegs als Agitation zu beschreiben. Es ist eine sehr humanistische Grundhaltung, die Gegensätze dazu beschreibt. Schlüsse muss jede*r selber daraus ziehen!

ExLibris Monika Morell Integral 1 VZA

Die insgesamt 20 Alben werden zusammen mit den zusätzlich erschienenen Kurzgeschichten in insgesamt 5 Integral-Bänden erscheinen. Wie immer bei Kult gibt es auch eine auf 99 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe der ein ExLibris beiliegt. Für alle, die ihre Lieblingsserie nicht nur im Regal stehen haben, sondern auch einen schönen Druck an die Wand hängen wollen.

Dazu passen The Selecter mit „Celebrate the Bullet“, und ein Leffe Bruin.

© der Abbildungen 2024 Editions du Tiroir & Marc Wasterlain / 2024 Comic Combo, Leipzig

Vernes/Forton – ZACK Spezial 11: Bob Morane

Das Schwert des Paladins

Story: Henri Vernes
Zeichnungen: 
Gérald Forton
Originaltitel: 
L’épée du Paladin (Femmes d´Aujourd´hui 1017 – 1043 ; 1967/68)

Blattgold Verlag – ZACK Edition

Softcover | 64 Seiten | Farbe| 18,00 € | nur für ZACK-Abonnent*innen

Limitiert auf 555 + 55 Exemplare

ISBN: n/a

Cover ZACK Spezial 11

Ein weiteres Kleinod frankobelgischer Klassiker wartet auf seine Leser*innen. Diese Ausgabe enthält die ungekürzte 56-seitige Fassung, die später für das Album zusammengestrichen wurde. Wer also das Leben eines Album-Redakteurs besser verstehen möchte, kann diese Ausgabe mit der Albumfassung, die in der Reihe Bob Morane Classic noch erscheinen wird, vergleichen.

Ein Zeitreiseabenteuer

Manche Purist*innen hätten gerne alles fein säuberlich voneinander getrennt: hier ist die Agentenstory, hier der Science-Fiction-Plot und hier sind die Abenteuergeschichten. Bob Morane, eine seit langer Zeit laufende Serie, vermixt die Zutaten und erfindet sich daher in gewisser Weise immer wieder neu. Natürlich werden bereits verwendete Komponenten auch gerne neu verknüpft, ansonsten kann man nicht mehr als 100 lange Handlungsstränge erfinden, sie sind aber immer wieder ganz anders.

Der aktuelle Band lässt Bob Morane und seinen Sidekick Bill Ballantime in der Zeit zurückreisen. Eigentlich geht es nur um den Beweis der Wirksamkeit der Maschine, einmal vor Ort können sich die beiden Helden aber nicht zurückhalten und mischen sich auf der Seite der ungerechterweise bedrohten Burgherrin ein. Um die Vorwürfe zu entkräften wäre ein Beweis wie das Schwert des Paladins äußert hilfreich.

Die wahre Spannung und Güte einer Geschichte zeigt sich häufig erst in dem „Drumherum“. Die Leser*innen erfahren sehr schnell, dass es noch einen weiteren Gast an Bord der Maschine gibt. Dieser versucht, dieselbe im Auftrag einer feindlichen Nation zu kidnappen. Fernes spielt hier sehr geschickt mit den verschiedenen Handelnden, die alle nur ein beschränktes Überblickswissen haben.

Details ZACK Spezial 11

Qualitativ hervorragendes Faksimile

Heutzutage sind wir es natürlich gewöhnt, Comics durchgehend in Farbe zu genießen. Früher war es durchaus üblich, nur jede zweite Seite zu kolorieren und den Rest im schwarz-weißen Original zu belassen. Diese Ausgabe ist nicht nur ungekürzt, sie bildet auch die damalige Originalpräsentation in der französischsprachigen Frauenzeitschrift ab. Für Fans von Forton ein Glücksgriff, kann man doch dadurch genau erkennen, welche Anteile vom Zeichner und welche von der Kolorierung kommen.

Forton ist ein Meister der Schraffuren und schafft eine Stimmung, die perfekt zu dieser historischen Science-Fiction passt. Ambiente, Dekors und Kleidung sind „alt“, die Gedanken (und natürlich auch das Fahrzeug, in dem die Zeitreisenden sich bewegen) sind „neu“.

Klassiker

Die ZACK-Spezial Alben schaffen eine perfekte Mischung aus hoher Qualität und Spannung einerseits, Nostalgie andererseits. Man sieht den Geschichten an, dass sie nicht aktuell sind. Technik und Wortschatz passen nicht in den heutigen Alltag und Netflix und Co würden viel mehr Pyrotechnik einsetzen. Nichtsdestotrotz sind die Geschichten nicht veraltet! Natürlich erfordert die kleine Auflage Kompromisse: Der Zwischenhandel samt seinen Gewinnmargen und Kostendeckungsbeiträgen bleibt außen vor und Einmalkosten können nur auf wenige Exemplare verteilt werden.

Es könnte daher sein, dass die Limitierung nicht unbedingt einen Wertsteigerungseffekt zeitigen wird. Trotzdem ist die Serie für Fans eine echte Empfehlung und wird scheinbar auch angenommen. Die ersten Bände sind jedenfalls alle vergriffen. Ein echtes Plus sind im Übrigen auch die zwei Interviews mit Henri Vernes und Gérald Forton über die Entstehung und die Hintergründe!

Dazu passen Blondie mit „Fade away and radiate“ und ein französischer Landwein!

© der Abbildungen Vernes – Bob Morane Inc./Forton – Ed. Hibou| 2024 Blattgold GmbH

Zauberstern – Van Helsing 4

Van Helsing gegen Frankenstein 4-5, … gegen die Mumie von Amun-Ra 1-2

Story: Pat Shand, Joe Brusha & Ralph Tedesco
Zeichnungen: 
Marc Rosete

Originaltitel: Van Helsing vs. Frankenstein 4 – 5; … vs the mumie of Amun-Ra 1 – 2; 2016/17, USA

Zauberstern Comics

Heft |100 Seiten | Farbe | 9,99 € |

ISBN: 978-3-98953-206-9

Cover Zauberstern Van Helsing 4

Die Vampir-Action geht (natürlich ebenfalls) weiter. Spätestens seit den Zeiten von Buffy ist klar, dass der Begriff weit ausgelegt werden muss: alle Sorten von Untoten, Dämon*innen, Geistern und sogar Gött*innen sind im Scope. Dabei dürfen sich die Autoren großzügig bei allen möglichen Vorbildern bedienen …

Schauerromantik? Nein, Action!

Leser*innen könnten auf die Idee kommen, den Titel Van Helsing gegen Frankenstein als Reminiszenz auf die ambivalenten Gefühle des geschaffenen Wesens und seine Rachegelüste zu verstehen. Zwar geht es auch hier um ein künstliches Wesen, immerhin soll der verstorbene Franklin wieder belebt werden, hier haben aber auch andere Mächte ihre Finger im Spiel.  Trotz der Konzentration auf die Action findet aber doch die Gedankenwelt des misshandelten Franklin ihren Platz in der Erzählung. Interessant ist die Nebenhandlung mit den Mottenwesen!

Etwas weniger deftig geht es in Van Helsing gegen die Mumie von Amun-Ra zu. Eine Söldnertruppe versucht zwei bestimmte Menschen während eines großen Events zu kidnappen. Obwohl Liesel explizit aufgefordert wird, sich rauszuhalten, mischt sie die Gangstertruppe auf. Diese Story wird in zwei Zeitebenen erzählt. Wir als Leser*innen erfahren dadurch immer nur gerade etwas mehr als zum Verständnis unbedingt erforderlich! Sehr spannend gelöst.

Unterschiedliche Aspekte

Da es sich im Original um mehr oder weniger unabhängige Miniserien handelt, die von unterschiedlichen Teams verantwortet werden können, verwundert es nicht, dass die einzelnen Teile sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die ersten beiden Serien waren sehr humorlastig, die dritte setzte dagegen fast nur auf Action. Die gerade angelaufene vierte Episode bringt nicht nur neue Gegner*innen aus der ägyptischen Mythologie, sie setzt auch wieder mehr auf den erzählenden Faktor.

Logo Zauberstern Van Helsing

Die erste Heft-Hälfte ist daher eher für Leute, die Zähne, Geifer und Tentakel mögen, die zweite zeigt auch Krimiszenen, die ohne Übernatürliches auskommen. Natürlich gibt es dazu Mumien mit wallenden Bändern und alt-ägyptische Gewänder. Und was wäre eine entsprechende Geschichte ohne die Verliese in einer Pyramide?

Kämpferinnen in Action

Es gab viel zu wenige Serien die toughe Frauen präsentieren. Zwar hat sich das mittlerweile etwas geändert, die meisten Heldinnen müssen aber immer noch überkompensieren und haben höchst unpraktische Kleidung zu tragen. Wenn man davon mal absieht, steht Van Helsing ihre Frau und besiegt die Gegner*innen wie sie kommen. Natürlich wird sie das auch in diesem Fall tun, schließlich ist das das Prinzip der Serie. Die ersten und die vierte Miniserie erzählen das in einer spannenden Weise. Dem Teil mit dem künstlichen Wesen hätte ein wenig mehr Inhalt und weniger Action gutgetan.

Glücklicherweise sind die Geschmäcker aber verschieden und jede*r bekommt seinen Anteil. In diesem Sinne: Es bleibt hoffentlich ein erfolgreiches Wagnis, den Schritt an die Kioske zu gehen und amerikanische Comics abseits von DC und Marvel bei uns zu vertreiben! Für Fans beinhaltet die Nummer wieder ein Poster und ein paar Covermotive!

Dazu passen New Model Army („Unbroken“) und ein Einbecker Maibock.

© der Abbildungen 2016/2017, 2024 Zenescope Entertainment, Inc. / 2024 Zauberstern Comics

Vehlmann/Gazzotti – Allein 14

Die Beschützer

Story: Fabien Vehlmann
Zeichnungen: 
Bruno Gazzotti

Originaltitel: SEULS -Les Protecteurs

Piredda Verlag

Hardcover | 56 Seiten | Farbe | 17,00 € 
ISBN: 
978-3-949968-03-7

Cover allein 14

Viele Serien schaffen es über die Jahre, die Figuren episodisch weiterzuentwickeln und teilweise sogar, ihre Held*innen reifen zu lassen. Wieder andere existieren seit mehreren Jahrzehnten mit unterschiedlichen verantwortlichen Kreativen, haben aber doch immer noch die gleichaltrigen Protagonist*innen wie ganz am Anfang. Allein ist da eine Ausnahme: Obwohl mit Band 14 bereits der vierte Zyklus startet, wird doch eine fortlaufende Geschichte erzählt!

Krieg in der Zwischenwelt

Dankenswerter Weise startet der Band mit einer kurzen Übersicht über die vorausgegangenen Zyklen und die Hauptpersonen. Für das volle Verständnis sollte man alle Bände genossen haben, die Zusammenfassung reicht aber aus, um hier einzusteigen. Die fünf Gefährt*innen sind wieder zusammen, sie wollen herausfinden, was mit ihnen passiert ist. Als sie erfahren, dass gerade weitere verstorbene Kinder in der Zwischenwelt angekommen sind, machen sie sich zu dem entsprechenden Ort auf. Sie hoffen, dass die Kinder wie üblich ihre Umgebung „mitgebracht“ haben und so in Zeitungen etwas über ihr Verschwinden stehen könnte.

allein 14 page 7

Kaum auf dem Weg müssen sie jedoch feststellen, dass Saul, der wahrscheinliche Auserwählte der „Guten“ ihnen Krieger und ein Exemplar der Beschützer auf den Hals gehetzt hat. Während sich Dodji und seine Freund*innen darum bemühen, einen Frieden zu erreichen, wird Saul von einem Vernichtungswillen getrieben.

Fabien Vehlmann hat mit dieser Mystery-Serie eine der besten aktuellen Comic-Reihen überhaupt geschrieben. Sie vereint Spannung, unerwartete Wendungen, versteckte Hinweise auf spätere Bände und wissenschaftliche Theorien über Zeit und Dimensionen mit einem ungewöhnlichen Setting da nur Kinder als Agierende auftreten. Obwohl die Serie alles andere als gewaltfrei ist, werden doch bestimmte Folgen dadurch abgemildert, dass die in der Zwischenwelt getöteten (und eigentlich bereits toten) Kinder meistens wiederkommen.

Fröhliche Zeichnungen

Bruno Gazzotti ist einer der Vertreter*innen der neuen Marcinelle-Schule. Sie haben einerseits das runde, fröhliche des in Spirou beheimateten Zeichenstils übernommen, integrieren aber durchaus Gewalt, Krieg oder andere Schlechtigkeiten. Dadurch wird der Kontrast zwischen den agierenden Kindern und den Aktionen noch einmal verstärkt. Niemand erwartet, dass ein Kind verunstaltet ist. Noch viel weniger allerdings mit einem Schnellfeuergewehr in der Hand …

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Wie auch bei Soda gibt es an den Zeichnungen nichts auszusetzen: Körperhaltungen und -proportionen stimmen, weibliche und männliche Rollen sind gleichwertig und vernünftig gekleidet. Emotionen sind teilweise etwas überzeichnet, das gehört allerdings zum Semi-Funny immanent dazu. Die Seitenkomposition basiert zwar auf Streifen. Diese sind allerdings sehr flexibel und lassen keine Langweiligkeit aufkommen.

Wieder etwas mehr als nur der Comic

Ich hatte bereits die einführenden Seiten mit dem Rückblick erwähnt! Auch nach hinten heraus bietet der Band noch etwas mehr, nämlich eine Art Beziehungsbaum der 15 Familien, inklusiv der bisher noch unbekannten Formen. Es bleiben noch genügend Felder offen die Stoff für weitere Bände geben. Zudem gibt es noch eine Erklärung über die Zwischenwelt, die das bisher bekannte zusammenfasst.

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Während die Bände bei unseren nordwestlichen Nachbar*innen als Softcover erscheinen, haben wir das Vergnügen, diese Topserie in gebundenerer Form in das Regal stellen zu können. Die reduzierten Cover sind schon ein Vergnügen, die Serie lädt zum mehrmaligen Lesen ein!

Dazu passen boygenius mit “Emily I’m sorry” und ein Energydrink.

© der Abbildungen 2024 Rue de Sèvres, Paris / 2024 Piredda Verlag

Stalner – 13H7 in Jonathan Lassiters Leben

Einmal runderneuern bitte …

Story: Éric Stalner
Zeichnungen: 
Éric Stalner
Originaltitel: 
13 heures 17 dans la vie de Jonathan Lassiter

Blattgold Verlag – ZACK Edition

Hardcover | 104 Seiten | Farbe | 32,00 € ISBN: 978-3-949987-17-5

Cover 13H17 in Jonathan Lassiters Leben

Es gibt Menschen, die dazu verdammt sind, ein eintöniges, langweiliges und unbefriedigendes Leben zu führen. Wenn sie Pech haben, kommen auch noch Spott und Häme dazu. Und da das Schicksal gerne noch einen draufsetzt, gehen dann auch noch die Dinge schief, von denen man geglaubt hatte, dass sie das Leben lebenswert machen würden. Wer also zu Depressionen neigt, sollte sich überlegen, ob er/sie hier zugreifen möchte.

Alles geht schief … oder doch nicht?

Jonathan Lassiter ist ein Angestellter bei einer Versicherung in einer kleinen, austauschbaren amerikanischen Kleinstadt. Seinen Job erledigt er mehr schlecht als recht und er zieht das Gespött seiner Kollegen geradezu magisch an. An einem dieser ganz speziellen Tage macht seine Freundin genau in dem Moment mit ihm telefonisch Schluss, in dem er die sofortige Kündigung überreicht bekommt. Er verdirbt sich daraufhin die Zukunft in dem er den größten Mobber blutig schlägt.

Als er auf die Straße geworfen wird, fängt es an zu regnen, den Whiskey in der Bar kann er nicht bezahlen, da ihm die Brieftasche geklaut wurde. Und das ist der Moment in dem ein Fremder – ein etwas undurchsichtiger aber scheinbar vermögender Mann – seien Bekanntschaft macht und ihn auf die bisher ungewöhnlichsten 13 Stunden und 17 Minuten seines Lebens mitnimmt.

Die beiden fahren in einem alten Cadillac durch die Stadt, gehen in Clubs und Bars, treffen korrupte Polizisten und bissige Hunde. Mr. Edward ist kultiviert, scheut sich aber nicht, Jonathan zu triezen und immer wieder herauszufordern. Nur langsam wird klar, was er an dem Abend vorhat. Die Spannung, die Stalner aufbaut, steigert sich nur langsam aber unaufhörlich bis es tatsächlich in einem Crescendo endet!

Cover 13H17 in Jonathan Lassiters Leben VZA

Realismus pur

Alle Panel in diesem superdicken Band haben keine Rahmen, sondern werden nur durch das Ende des Hintergrundes definiert. Der Realismus der Zeichnungen wird dadurch noch verstärkt, wirken die Bilder dadurch doch teilweise wie Fotos. Éric Stalner zeichnet die Geschichte fast schon hyper-realistisch, allerdings teilweise mit dem Charme von älteren Schwarz-Weiß Filmen mit Helden wie Cary Grant. Fast alles ist tatsächlich farblos (sieht man mal von gewissen bläulichen oder gelblichen Hintergründen ab).

Farbe kommt nur dann ins Spiel, wenn ein Akzent gesetzt werden soll: etwa blendende Autoscheinwerfer oder generell rote, gefährliche Momente: das Auto, blinkende Sirenen, verstörende Werbung. Alle Zeichnungen sitzen punktgenau, sind aber ebenfalls unaufgeregt und lassen die Geschichte sich entwickeln.

Noir in Bestform

Sarkasmus, ein Hauch Nostalgie, ein anarchistischer „Held“, eine schöne Frau, eine Entwicklungsgeschichte und ein paar blaue Augen, alle notwendigen Bestandteile einer Noir-Story sind vorhanden und Stalner baut daraus eine perfekte Komposition! Jedes Detail passt zu den anderen und nirgendwo hat man beim Lesen das Gefühl, dass etwas fehlt oder zu viel ist.

ExLibris 13H17 in Jonathan Lassiters Leben VZA

In der ZACK-Edition erscheinen Einzelbände, die es möglicherweise auch in das ZACK hätten schaffen können, es aber dann aber (oft aus Platzgründen) doch nicht haben. Dieser Noir in extra-dickem Hardcover verdient es, wahrgenommen zu werden und braucht sich nicht hinter Publikationen anderer Verlage zu verstecken. Wer will, kann direkt beim Verlag wieder eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Druck bestellen!

Dazu passen The Be Good Tanyas („Waiting Around to Die“) und ein Woodford Reserve.

© der Abbildungen 2023 Bamboo Édition par Éric Stalner / 2024 Blattgold GmbH, Bad Dürkheim

Van Hamme/Dany – Abenteuer ohne Helden & 20 Jahre danach

Gesamtausgabe

Story: Jean Van Hamme

Zeichnungen: Dany
Originaltitel: 
Histoire sans Héroes / 20 ans après

schreiber & leser

Hardcover | 136 Seiten | Farbe | 29,80 €
ISBN: 
978-3-96582-161-3

Cover Abenteuer ohne Helden Gesamtausgabe

Mittlerweile sind beide Künstler anerkannte Meister ihres Faches. Als der erste Teil dieses Doppelbandes geplant wurde, war das noch ganz anders. Van Hamme wurde damals eher noch mit Romanen assoziiert, Dany hatte noch keinen realistischen Comic veröffentlicht. Glücklicherweise konnten sie ihre Arbeit trotzdem platzieren und sogar später einen zweiten Teil dazu schreiben. Der Band enthält übrigens auch einen „authentischen“ Beitrag eines weiteren Abenteurers, Largo Winch!

Das typische Katastrophenszenario

Das Grundszenario ist nicht unbedingt neu: Ein Flugzeug stürzt irgendwo über dem südamerikanischen Dschungel ab und ein paar Fluggäste überleben den Unfall. Nun geht es darum, sowohl das weitere Überleben zu sichern, die Konflikte in der Gruppe zu beherrschen, und – wenn möglich – die endgültige Rettung zu organisieren. Aus dieser Situation gibt es im Wesentlichen zwei Grundströmungen: es gelingt der Gruppe zusammenzuarbeiten (wie etwa in „Zwei Jahre Ferien“ von Jules Verne) oder aber gewalttätige Konflikte beherrschen alles Weitere (wie etwa in „Herr der Fliegen“ von William Golding oder bei „Lost“).

Abenteuer ohne Helden Gesamtausgabe page 29

Van Hamme mischt diese beiden Grundlinien. Die sehr heterogene Gruppe enthält genug Potential für Auseinandersetzungen: Ein General eines diktatorisch regierten Landes steht für unberechenbare Gewalt, ein Filmschauspieler für den Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit. Dazu kommen sexuelle und ethische Spannungen und krasse Unterschiede in sozialer Herkunft und Bildung.

Während der erste Teil eher als Abenteuer konzipiert ist, versucht der zweite Teil, Hintergründe aufzuzeigen und offene Fragen aus dem ersten Band zu beantworten. Vieles von dem, was anfangs nur angedeutet wird, bekommt dadurch mehr Tiefe. Oftmals hat man als Konsument*in eines Werkes das Gefühl, dass eine zweite Folge nur dazu dient, einen Erfolg zu verlängern. Hier greifen die Teile jedoch ineinander und liefern tatsächlich ein Ganzes! Nun ja, Van Hamme ist halt einer der besten Action-Szenaristen.

Realistische Zeichnungen

Dany ist den deutschen Leser*innen eher durch seine erotischen Alben bekannt. Angefangen hat er aber im romantischen, leicht magischen Setting mit Geschichten für das eher jüngere Publikum von Spirou. Es war durchaus sein Wunsch, mit realistischen Zeichnungen in eine höhere Altersklasse aufzusteigen. Das Abenteuer ohne Helden war dafür sein Sprungbrett, das ihn befähigte, für eine spätere Geschichte um Andy Morgan in Frage zu kommen.

Abenteuer ohne Helden Gesamtausgabe page 30

Die beiden Teile erlauben uns, seine diesbezüglichen Entwicklungen nachzuvollziehen. Die Gesichter drücken in 20 Jahre Danach deutlich mehr Emotionen aus als noch in der ersten Folge. Auch der Dschungel wirkt moderner.

Eine sehr gelungene Gesamtausgabe!

Logo Abenteuer ohne Helden Gesamtausgabe

Der Band bei Alles Gute, dem Imprint von Schreiber & Leser, bietet nicht nur die beiden Alben sowie einige weitere Illustrationen. Sie enthält auch den späteren „Beitrag“ von Largo Winch, der über einige Hintergründe aufklärt und den Charakter einer Reportage verstärkt. Dazu kommt noch ein redaktioneller Beitrag, der auf die Künstler, die Zeit und die Veröffentlichungen eingeht.

Viel besser kann man diese Sachen nicht herausgeben. Wer es noch etwas spezieller mag, möge zur Vorzugsausgabe greifen der ein streng limitiertes ExLibris beigefügt ist. Für jede*n, der/die frankobelgische Abenteuer liebt, die neben einigen Actionszenen auch noch Wert auf die Entwicklung von Charakteren legen!

ExLibris Abenteuer ohne Helden Gesamtausgabe VZA
ExLibris der VZA

Dazu Rumble on the Beach, etwa „Juanita“ und ein Pilsener aus Ecuador.

© der Abbildungen Editions du Lombard (Dargaud – Lombard s.a.) 1997, by Van Hamme, Dany | 2024 Verlag Schreiber & Leser, Hamburg

Zauberstern – Savage Dragon 2 + 3

Fintastische Action

Story: Erik Larsen
Zeichnungen: 
Erik Larsen

Originaltitel: The Savage Dragon 1 – 4, 5 – 8, 1993/94 USA

Zauberstern Comics

Heft | 124 + 100 Seiten | Farbe | 9,99 € |

ISBN: 978-3-98953-232-8, 978-3-98953-233-5

Cover Savage Dragon 2

Es ist schon eine Weile her, dass deutsche Kioske und selbst Supermärkte eine ganze Reihe an Comicheften in den Auslagen hatten. Neben den üblichen DC- und Marvel-Titeln kamen dabei erstmals in größerer Anzahl Image-Serien in deutscher Übersetzung auf den Markt. Davon ist mit wenigen Ausnahmen nicht viel übriggeblieben, sieht man mal vom Dauerbrenner Spawn ab.

Ein Cop mit Finne

Erik Larsen ist neben Todd MacFarlane einer der Gründer von Image Comics, einem Zusammenschluss von Künstler(*innen) mit dem Ziel, die Rechte an den Charakteren nicht den Verlagen zu überlassen. Seine Schöpfung ist ein Mutant, eben jener Savage Dragon, der ohne Erinnerung inmitten eines Feuers gefunden wird. Seine Originstory durften wir in Heft 1 mitverfolgen.

Die reguläre Heftserie setzt zeitlich danach an: Der grüne Held mit Finne ist Polizist und bekommt Unterstützung von immer mehr anderen Mutant*innen. Während die meisten sich nicht auf der Seite des Gesetzes sehen, gibt es doch immerhin ein paar „vernünftige“. Leider sind jedoch dadurch weder Vorurteile noch sinnlose Regularien beseitigt (Welcher Superheld möchte schon in Polizeiuniform kämpfen?).

Also muss der Held wieder zum Einzelkämpfer werden. Trotzdem wird er in unzählige Kämpfe verwickelt. Gleichzeitig versucht er aus dem veränderten Verhalten seines Freundes und Förderers schlau zu werden. Es sieht so aus, als ob dieser das Vertrauen verloren hätte und den Supercop bewusst dorthin schickt, wo keine Action zu erwarten ist.

Cover Savage Dragon 3

Geballte Action!

Natürlich steht bei dieser Art von Comic die Action im Vordergrund! Während andere Serien dieses Verlages durchaus leicht bekleidete Kämpferinnen präsentierten, ist Erik Larsen da deutlich zurückhaltender! Seine Splashpages eignen sich daher nicht als Pin-Up für pubertierende Jugendliche, sind aber actiongeladen und sehenswert.

Als Gaststars treten die Teenage Mutant Ninja Turtles auf, die bei Splitter übrigens ebenfalls gerade ihr Comeback feiern. Larsen liebt die ganzseitige Illustration und diese wiederum lieben das große Magazin-Format bei Zauberstern!

Geballte Superpower

Image-Comics waren nicht nur Creator-owned, ihre Held*innen räumten auch mit den etwas verschnarchten und formelhaft erstarrten traditionellen Superheld*innencomics auf. Die Action wurde realistischer, Kämpfe führten zu Blessuren und die heile Welt wurde wieder zur Illusion.

Wer das mag, wird Savage Dragon lieben, vor allem da diese Serie den Weg über den Teich bisher nicht gefunden hatte. Und immerhin wird ja nicht nur geprügelt, es geht auch um das Seelenleben der Protagonisten und ihre Sorgen.

Im Hintergrund läuft die neue Platte von Cock Sparrer („With My Hand On My Heart“).

© der Abbildungen 1992 – 2024 Erik Larsen, Image Comics, Inc. / Zauberstern Comics 2024

Blutch – Lucky Luke Hommage 6

Die Ungezähmten

Story: Blutch
Zeichnungen: 
Blutch

Originaltitel: Lucky Luke – Les Indomptés

Story House Egmont

Softcover/Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 8,99 € / 16,00 € |

ISBN: n/a / 978-3-7704-0902-0

Cover Lucky Luke Hommage 6

Auch der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten, muss sich der Gegenwart stellen. Plötzlich weht ein neuer Wind und der Claim dieses Bandes ist „Der Mann, der den Zaun erschoss“. Trotzdem ändert sich nicht alles: immerhin rauchen weiterhin nur die Schurken!

Ein moderner Mann kümmert sich um die Kinder

Lucky Luke war bisher ein typischer männlicher Berufstätiger. Er arbeitete ohne Unterlass, kannte weder Ferien noch Feierabend, und war nicht bereit, irgendwelche täglichen Aufgaben zu übernehmen. Und wenn doch Aufgaben dieser Art zu erledigen waren, war es eher wahrscheinlich, dass Jolly Jumper sie übernommen hätte. Nun aber gerät er in eine Zwickmühle.

Unser Held sorgt dafür, dass ein Kleinkrimineller, Rufus Kinker, eingebuchtet wird. Nun sind aber seine beiden minderjährigen Geschwister ohne Aufsicht. Zudem sind sie so unerzogen, dass keine Institution sie in ihre Obhut nehmen möchte. Es bleibt ihm also nicht übrig als die Aufsicht zu übernehmen und gleichzeitig der Hoffnung nachzujagen, dass die Eltern nur verschwunden und nicht gestorben sein mögen.

Blutch, wie sich Christian Hincker in der Comicwelt nennt, ist es mit Die Ungezähmten gelungen, dem Kosmos des lonesome Cowboys eine neue Facette hinzuzufügen. Die Figuren bleiben gleich, verhalten sich auch wie erwartet, und doch ist alles Neu. Chapeau!

Nicht so rund

Blutch zeichnet nicht so rund wie etwa Morris oder Achde. Seine Figuren sehen irgendwie dreckiger aus, passen dadurch eher in einen Western, fallen aber aus dem erwarteten Schema. Nicht, dass man jetzt gleich in das Italo-Western Genre fallen würde, aber John Wayne ist es auch nicht mehr…

Wer damit klar kommt, wird seinen Spaß an dem Band haben. Die Kinder sind unerzogen, aber nicht bösartig. Die Ganoven sind nicht gesetzestreu, aber ebenfalls nicht wirklich bösartig. Die Indianer sind etwas schematisch dargestellt, ebenfalls aber sympathisch. Und die Bürger sind wie eh und je eine Katastrophe und wollen stets das Beste (für sich) und schaffen das Schlechte (für alle).

Nicht nur für Komplett-Sammler*innen

Natürlich gibt es eine ganze Menge an Menschen, die aus Prinzip jedes neue Album von Lucky Luke kaufen. Im Zuge des aktuellen Western-Revivals dürfte es aber auch eine Anzahl von Interessierten geben, die nicht wegen, sondern trotz des Reihentitels einen Kauf in Erwähnung ziehen. Denen sei gesagt, dass ein Blick sich lohnt. Blutch’s Version des Cowboys ist modern, spannend erzählt und abseits der ausgetretenen Pfade.

Natürlich wird der Absatz in Deutschland dem der Version von Ralf König nicht gleichen. Trotzdem lohnt ein Blick! Wie immer gibt es eine Kiosk-Version und eine gebundene Ausgabe für den Buch- und Fachhandel.

Dazu passen ein Maibock und der gute alte Ian Dury.

© Lucky Comics 2024/ Egmont EHAPA Media GmbH, Berlin 2024

Boisserie, Guillaume/Brangier – Das Gold der Belgier 1

Eine Erzählung nach wahren Begebenheiten

Story: Pierre Boisserie, Philippe Guillaume
Zeichnungen: 
Stéphane Brangier
Originaltitel: 
L´or des Belges 1

Blattgold Verlag – ZACK Edition

Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 22,00 €

ISBN: 978-3-949987-25-0

Blattgold, der ZACK-Verlag, baut kräftig weiter an seiner Edition von feinen Comics, die den Weg nach Deutschland bisher nicht geschafft haben. Teilweise sind es Ergänzungen zu im Magazin laufenden Serien oder Gesamtausgaben, die damit in Verbindung stehen. Es gibt aber auch komplett unabhängige Werke, die eine Veröffentlichung verdient haben. Dazu gehören etwa Doktor Radar, Rio oder das noch zu besprechende Epos über etwas mehr als 17 Stunden.

Die staatlichen Goldreserven wecken Begehrlichkeiten

Diese Geschichte spielt 1940, die deutschen Truppen haben unter anderem Belgien besetzt. Wie wir alle aus aktueller Erfahrung wissen, kosten Kriege eine Menge Geld, umso mehr als Sanktionen aus dem Ausland dringend benötigte Devisen- und Gold-Importe verhindern. Die Nazis bauen daher darauf, sich Das Gold der Belgier einzuverleiben und damit dringend benötigte Güter kaufen zu können.

Der belgische König, der im Land verblieben war, weigert sich allerdings, den Staatsschatz herauszugeben. Er hatte (wie auch andere Länder) veranlasst, das Gold der französischen Zentralbank anzuvertrauen, in der Hoffnung, es so vor dem Zugriff der Nazis schützen zu können. Aufgrund von kollaborierenden Franzosen erfahren die Deutschen jedoch den Ort, an dem die Goldbarren versteckt werden sollen und versuchen, sich des Schatzes zu bemächtigen.

Dabei geht es keineswegs regelgerecht zu. Munter werden Gesetze ignoriert, Menschenleben zählen nicht viel. Viele verschiedene Gruppen sind auf unterschiedlichen Seiten an dem Tauziehen beteiligt und natürlich gibt es auch Verrat. Die beiden aus dem ZACK bereits bekannten Autoren Pierre Boisserie und Philippe Guillaume konstruieren eine sehr spannende Geschichte, die sich weitgehend an den historischen Fakten orientiert, die Lücken aber geschickt ausfüllt.

Cover der Vorzugsausgabe

Karikativer Realismus

Die Zeichnungen von Stéphane Brangier sind bezüglich der Dekors sehr realistisch gehalten. Man sieht den Gebäuden, Fahrzeugen und der Kleidung an, dass sie aufgrund akribischer Dokumentation gezeichnet wurden. Die Geschichte wirkt dadurch sehr glaubwürdig und unterstreicht den Charakter der Wirklichkeitsnähe. Gleichzeitig sind die Personen, ihre Gesichtszüge und teilweise auch Körperhaltungen stark überzeichnet.

Diese Übertreibungen sind allerdings nicht als humoristische Einlage gedacht, sie unterstützen die Charakterisierung der handelnden Personen. Der französische Offizier ist traditionell blasiert, der deutsche Offizier brutal … Diese Standards vereinfachen die Rezeption vielleicht, sind jedoch auch gewöhnungsbedürftig. Trotzdem ist die grafische Umsetzung gelungen, zeigt sie doch vor allem das Geschehen.  

Spannende Geschichtslektion in zwei Bänden

Es gibt so viele wahnwitzige Geschichten aus der Vergangenheit, die Stoff genug für eine Verfilmung oder eben eine Umsetzung als Comic bieten, ohne dabei die Gemüter zu erhitzen. Die Rollen der „Guten“ und der „Schlechten“ sind klar verteilt, den wirklichen Ausgang kann jede*r auf Wikipedia nachlesen, und trotzdem ist die Verarbeitung extrem spannend und bezieht ihren Reiz aus den „kleinen“ Gegebenheiten.

Die Aufmachung als etwas überformatiges Hardcoveralbum mit einem Essay über die historischen Fakten lässt keine Wünsche übrig. Der Preis ist der in Deutschland typischen kleinen Auflage angemessen, und wer will kann sich direkt beim Verlag eine limitierte Vorzugsausgabe mit ebenfalls limitiertem ExLibris bestellen.

Dazu passen The Stranglers („No More Heroes“) und ein Duvel Tripel Hop Citra Belgian IPA.

© der Abbildungen 2022 Dargaud, by Stéphane Brangier, Pierre Boisserie & Philippe Guillaume / 2024 Blattgold GmbH, Bad Dürkheim


Delaf – Gaston 22

Die Rückkehr eines Chaoten

Story: Delaf nach André Franquin

Zeichnungen: Delaf nach André Franquin

Originaltitel: Gaston 22 – Le Retour de Lagaffe

Carlsen Comics
Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 15,00 €
ISBN: 
978-3-551-64001-7

Cover Gaston 22

Wir feiern (immer noch) den 100. Geburtstag eines der besten Comic-Künstler überhaupt, der den europäischen Comic wie nur wenige andere beeinflusst hat: André Franquin. Viele seiner Werke sind gerade in Sondereditionen neu erschienen, die Zeitschrift Spirou hat gar eine sehr schöne Sondernummer (4473 – 4474) veröffentlicht. Natürlich sind mit diesem Namen Serien wie Spirou und Fantasio oder Mausi und Paul verknüpft, das gelb-schwarze Wundertier hüpft über die Seiten. Daneben gibt es aber auch die anarchistische Seite, die sich in einigen Schwarzen Gedanken äußert, in der Kritik an der Institution Kirche, vor allem aber in den Abenteuern des Büroboten Gaston.

Zurück in die Zukunft …

21 Bände mit den aberwitzigen Geschichten von Gaston sind erschienen und eine sehr lange Zeit sah es so aus, als ob es dabei bleiben würde. Zwar kamen immer neue Gesamtausgaben auf den Markt und wurden teilweise vergessene Bruchstücke hinzugefügt, Neues schien aber verboten zu sein. Natürlich mal abgesehen von den unzähligen Hommagen und Cameoauftritten. Schließlich schon es so weit zu sein, der Kanadier Delaf (mit bürgerlichem Namen Marc Delafontaine) fabrizierte einige Seiten, aber ein Rechtstreit verhinderte zunächst die Veröffentlichung. Bis jetzt …

Die Jahrzehnte, die zwischen Band 21 und Band 22 liegen, haben in gewisser Weise gar nicht stattgefunden. Fräulein Trudel ist noch genauso die alte wie Herr Bruchmüller, Demel oder Polizist Knüsel. Während das bei Letzteren nicht weiter schadet, ist das Rollenbild der verliebten Kollegin leider „leicht“ veraltet. Die Gags funktionieren trotzdem und bringen das gesamte Ensemble auf die Bühne: sogar Spirou, Demels Vorgänger Fantasio und das Marsupilami dürfen mittun!

Gaston 22 page 3

Die Gags modernisieren die Umgebung nur leicht und sind daher für Kids möglicherweise nicht ohne Erklärung verständlich. Das mobile Telefon ist für die Älteren unter uns aber ein genauso großer Spaß wie der Campingurlaub und die nur auf Papier vorhandenen Verträge. Es gibt aber auch bereits erste E-Bikes und Reminiszenzen an Spider-Man. Ein gelungener Versuch, den alten Stallgeruch aufzunehmen und (sehr zaghaft) zu modernisieren.

Zeichnungen, die das Flair einfangen

Natürlich ist Delaf kein Franquin. Wer das erwartet, glaubt aber auch an den Weihnachtsmann. Delaf kopiert jedoch den Stil sehr originalgetreu und schafft damit das Vertrauen, das es braucht, eine Meisterserie fortsetzen zu können. Einige Bilder mögen etwas zu voll sein, natürlich fehlt die lustige, immer wieder andere Signatur und das Tempo stimmt (noch) nicht immer.

Gaston 22 page 4

Das ist aber ein Meckern auf hohem Niveau! Für mich springt der Funke über, der Irrwitz aus Respektlosigkeit, grenzenloser Naivität und unbekümmertem Urvertrauen wird durch die Zeichnungen perfekt unterstützt. Weiter so! (Und: Ja, ich weiß, dass es Purist*innen gibt, die das Ganze nur als Affront verstehen während anderen die Modernisierung nicht weit genug geht…).

Ein gelungenes Comeback

Viele alte Serien aus der Blütezeit des frankobelgischen Comics sind „runderneuert“ wieder auf dem Markt, andere sehen sich eher den Traditionen verbunden. Der „neue“ Gaston gehört definitiv in die zweite Kategorie. Kids sind eindeutig nicht die Zielgruppe! Fairerweise muss man allerdings zugestehen, dass die beruflichen Erlebnisse einer Redaktion schon immer aus der Welt der Erwachsenen entnommen waren.

Wir haben heutzutage viel zu wenig Spaß in unserer auf Verwertung und Optimierung getrimmten Welt. Gaston ist definitiv ein Ereignis, eine Naturgewalt, von der man hofft, dass sie andere Firmen heimsuchen und die eigene verschonen möchte. Trotzdem gibt sie genau das, was fehlt: Anarchie im Alltag! Für mich ein Top-Tipp!

Dazu passen Bite Me Bambi mit “Bad Boyfriend“ und ein Grauburgunder.

© der Abbildungen Delaf d`après Franquin Dupuis 2023 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

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